
Die Landesausstellung in Bad Schussenried
„Man könnte sagen, Bad Schussenried ist in Aufruhr.“
Mit diesem Satz beginne ich eine Reise in ein Kloster, das für einige Monate zum Zentrum eines historischen Bebens wird. Und nein, es geht hier nicht um Mönche, die gegen das WLAN kämpfen – sondern um nichts Geringeres als den Bauernkrieg, der vor knapp 500 Jahren das Heilige Römische Reich erschütterte.
Willkommen in Bad Schussenried, wo Geschichte nicht nur erzählt, sondern erlebt wird. Mit Dürer, digitalen Rebellen und einer Ausstellung, die sich traut, mehr zu sein als ein staubiges Schaulager alter Dinge.
Aufstand in Oberschwaben: 500 Jahre später
Im Frühjahr 2025 wird Bad Schussenried zum Epizentrum der Landesausstellung „UFFRUR!“. Ort des Geschehens: das barocke Kloster, das sich zwischen Bücherhimmel und Biergarten zur Bühne für die Vergangenheit verwandelt. Aber keine Sorge, hier geht es nicht um trockene Historie – sondern um Emotion, Relevanz und neue Perspektiven.
Kuratorin Ingrid-Sibylle Hoffmann vom Landesmuseum Württemberg bringt es auf den Punkt:
„Das eine sind die original Exponate. Die sind ja aus der Zeit des Bauernkriegs, das heißt 500 Jahre alt… Und das zweite Standbein sind eben KI-generierte Figuren, die in der Ausstellung auftreten und quasi aus ihrer Lebenswelt erzählen.“
KI mit Charakter: Wenn Bauern digital sprechen
Der Clou der Ausstellung: KI-gestützte Figuren, sogenannte „KIFiguren“. Sie sind das Sprachrohr derer, die in den üblichen Geschichtsbüchern zu kurz kommen – der Bauern.
Denn wie Kurator Marco Veronesi erklärt:

„Wir haben sehr, sehr wenige Zeugnisse von den Bauern selbst – eigentlich gar keine.“
„Wir müssen rekonstruieren: Wie haben die Bauern gedacht, wie haben sie gefühlt?“
Und weil’s schwer ist, echte Bauern von 1525 zum Interview zu bitten, lässt man eben KI sprechen. Diese digitalen Zeitzeugen bringen Interpretation ins Spiel – und auch ein wenig Magie:
„Es sind nicht Schauspieler mit Kleidern, die dann doch meist etwas zu sauber sind, sondern wir sind einen Schritt weiter gegangen und sind ein bisschen ins Phantastische gegangen.“
Aus der KI-Maschine steigen Stimmen der Vergangenheit, die nicht dokumentiert, aber möglich sind. Ein Bauernmädchen erzählt vom Hunger, ein Knecht klagt über Frondienste. Emotional, subjektiv – aber eben auch wirkungsvoll.


Natürlich kommt auch die Klassik nicht zu kurz. In den Gewölben des Klosters findet sich Historisches zum Staunen – darunter eine echte Bilderchronik aus dem Kloster Weißenau.
Kurator Marco Veronesi führt mit leuchtenden Augen zu einem ganz besonderen Objekt:
„Rechts oben in der Ecke sieht man Jakob. Jakob war Abt des Klosters Weißenau zurzeit des Bauernkriegs und hat noch 1525 unter dem Eindruck der Geschehnisse eine Bilderchronik in Auftrag gegeben.“
Elf filigrane Federzeichnungen dokumentieren aus Sicht des Klerus die Bauernaufstände – ein echter Schatz, der bislang selten gezeigt wurde. Ergänzt wird das Ensemble von Dürers meisterhaften Kupferstichen und anderen Originalstücken der Reformationszeit.
Achtung, Gänsehautpotenzial!

Revolution im Raumklima: Die Tücken des Klosterbetriebs
Doch bis die Ausstellung öffnen konnte, war einiges zu tun. Denn so charmant das Kloster auch ist – für fragile Objekte aus dem 16. Jahrhundert war es denkbar ungeeignet.
Ingrid-Sibylle Hoffmann seufzt leicht, aber mit Stolz:
„Das war schon ziemlich viel mehr Aufwand, als eine Ausstellung bei uns im Alten Schloss zu machen.“
„Hier gab es keine klimatisierten Räumlichkeiten – das mussten wir alles schaffen.“
Dass sich Historie nicht einfach in jede Kulisse pressen lässt, zeigt sich hier besonders eindrucksvoll. Es wurde gebaut, angepasst, versiegelt und klimatisiert, damit die Gäste aus dem Mittelalter keinen Hitzschlag bekommen – und die Exponate nicht bröseln.
Gerechtigkeit, Mitbestimmung – klingt irgendwie vertraut?

Die Ausstellung ist mehr als eine nostalgische Rückschau auf Mistgabel und Scheiterhaufen. Sie verhandelt Themen, die uns heute noch beschäftigen: soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, Verteilung von Macht.
„Das Thema Gerechtigkeit – das ist ja auch in der letzten Zeit ein, finde ich, immer stärkeres.“, sagt Hoffmann.
„Weil Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffen.“
Und wenn wir ehrlich sind: Der Wunsch, mitreden zu dürfen und nicht nur zu arbeiten, bis der Rücken bricht, ist so aktuell wie 1525. Die Ausstellung hält uns also nicht nur einen Spiegel der Vergangenheit vor – sondern auch einen der Gegenwart.
Für Geschichtsnerds und Neulinge: Alle sollen mit
Die Ausstellung macht keine elitären Ansprüche. Sie will nicht nur für Fachleute und Bildungsbürger spannend sein. Marco Veronesi betont:
„Wir zeigen nicht nur hochrangige wertvolle Exponate, die für ein klassisches Ausstellungspublikum interessant sind.“
„Deshalb auch die Vermittlung durch unsere KIFiguren. Wir wollen wirklich möglichst alle ansprechen.“
Und das funktioniert. Denn wer einmal erlebt hat, wie eine KI-Bäuerin Tränen in der Stimme hat, wenn sie vom Tod ihres Mannes spricht – der vergisst diese Lektion nicht so schnell.
Zwischen Mitgefühl und Mistgabel: Warum sich ein Besuch lohnt

Bad Schussenried ist dieser Sommer kein verschlafenes Kurörtchen – es ist ein Brennglas auf Themen, die unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten umtreiben.
Die Ausstellung UFFRUR! schafft es, durch den cleveren Einsatz von KI, interaktiven Elementen und klassischen Exponaten, einen Dialog zwischen Damals und Heute zu eröffnen.
Ein Besuch lohnt sich für:
- Geschichtsinteressierte, die Neues entdecken wollen
- Familien mit Kindern, die Lust auf Mitmachen haben
- Schulklassen, die endlich mal Geschichte zum Anfassen erleben
- Skeptiker der Digitalisierung, die überrascht werden wollen
- Mittelalterfans mit Hang zur Rebellion
Und ganz ehrlich: Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, mit einer KI-Figur über soziale Gerechtigkeit im Jahr 1525 zu diskutieren?
Fazit: Ein rebellischer Sommer in Oberschwaben
Die Landesausstellung UFFRUR! ist ein Paradebeispiel dafür, wie moderne Technik, fundierte Geschichtsforschung und ein gutes Gespür für Emotion einander befruchten können.
Hier wird keine trockene Geschichtsstunde abgehalten, sondern eine lebendige Zeitreise geboten – mit allen Sinnen, allen Fragen und auch ein bisschen Herzklopfen.
Bad Schussenried ist in Aufruhr – und das ist auch gut so.