
„Viele sprechen von der Energiewende. Aber wie funktioniert sie konkret?“
Diese Frage stellt sich nicht nur die Politik, sondern auch wir alle – vor allem dann, wenn plötzlich wieder jemand über steigende Strompreise schimpft oder das Wetter nicht so recht mitspielt. Denn Windräder drehen sich eben nur bei Wind, und Solarmodule liefern nur Strom, wenn die Sonne scheint. Aber unser Netz braucht rund um die Uhr Energie.
Eine Antwort darauf gibt es in Oberschwaben, genauer gesagt in Mochenwangen auf dem Kögelhof. Dort betreibt Landwirt Hermann Müller seit 2004 eine Biogasanlage. Was sich trocken anhört, erklärt er auf die wohl anschaulichste Weise überhaupt: mit dem Verdauungstrakt einer Kuh.
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Im Bauch der Energiewende: Ein Besuch im „Kuhmagen“
„Erklärt mit einem Kuhmage. Weil jeder Kuh magische kleine Biogasanlage.“
Mit diesem Satz hat Müller sofort meine Aufmerksamkeit. Er bittet mich, mir vorzustellen, man klettere in einen Kuhmagen hinein. Ein etwas gewöhnungsbedürftiges Bild, aber es funktioniert:
„Es ist dunkel im Magen, es ist richtig warm, und Muskeln bewegen die ganze Masse. Dazu kommen unzählige Bakterien, die das Gras, das Heu und die Silage verdauen und daraus Biogas machen.“
Was die Kuh also seit Jahrtausenden ganz selbstverständlich erledigt, hat Hermann Müller auf dem Hof technisch nachgebaut: große, beheizte Behälter, Rührwerke, Bakterienkulturen – und das Ergebnis ist nichts anderes als sauberer Strom.
Von Mais bis Mist: Rohstoffe für die Anlage
Gefüttert werden die „künstlichen Mägen“ mit allem, was auf den Feldern wächst oder im Stall anfällt: Gras, Mais, Getreide-Ganzpflanzensilage, Gülle und Reststoffe. Die Bakterien erledigen den Rest und produzieren Methangas. Dieses Gas treibt dann Motoren an, die wiederum Strom und Wärme erzeugen.

Das Besondere: Die Kraft-Wärme-Kopplung. Der Landwirt betont:
„Es kommt nicht nur Strom raus, sondern gleichzeitig auch Wärme, die man sinnvoll nutzen kann – zum Beispiel fürs Schulzentrum in Mochenwangen oder für Wohnhäuser.“
Damit wird aus dem Feld Energie und diese gleich doppelt genutzt.
Ein Hektar Mais = 1,5 Mal um die Erde
Um die Dimensionen greifbar zu machen, hat Hermann einen Vergleich parat:
„Ein Hektar Mais reicht, um 70.000 Kilometer mit einem Auto zu fahren – das ist 1,5 Mal um die Erde. Und gleichzeitig macht man noch Wärme zum Heizen.“
Solche Bilder bleiben hängen. Biogas wird damit nicht zur Randnotiz im Energiemix, sondern zu einem ernstzunehmenden Player, der weit über den Acker hinaus Wirkung zeigt.

Das Herz der Anlage: Blockheizkraftwerke

Der nächste Stopp ist das Blockheizkraftwerk (BHKW). Hermann Müller zeigt auf den Motor, der die Energie erzeugt:
„Der Motor macht die Energie, ein Generator den Strom. Und wenn ein Motor arbeitet, dann entsteht heißes Kühlwasser und heißes Abgas – überall kann man Wärme rausziehen.“
Der Trick: Nichts geht verloren. Selbst die Abwärme wird in Speicher geleitet, um sie später zu nutzen. Clever, nachhaltig und ziemlich bodenständig.
Strom nach Bedarf – nicht nach Wetter
Während Solaranlagen in der Mittagssonne Überschuss produzieren und Windräder nur bei Wind liefern, ist Biogas flexibel. Müller erklärt das Prinzip am Beispiel des Börsenstrompreises:
„Wenn die Preise niedrig sind, stehen alle Motoren. Aber sobald der Bedarf steigt, startet der Motor und geht innerhalb kürzester Zeit auf volle Leistung.“
Das bedeutet: Biogas springt genau dann ein, wenn andere Quellen schwächeln. Eine Art Joker im Stromnetz – wetterunabhängig und zuverlässig.

Silage = 15 Millionen Kilowattstunden Strom
Unglaublich, aber wahr: Die Silage auf dem Hof speichert Energie im Wert von knapp 15 Millionen Kilowattstunden Strom. Genug, um tausende Haushalte zu versorgen.
„Und das Besondere ist: Wir können entscheiden, wann wir diese Energie abrufen. Das unterscheidet uns von Sonne und Wind.“
Man könnte sagen: Hermann Müller nutzt den Energiespeicher, der grün, lokal und ziemlich urig ist.
Die Wärmefrage: Speichern statt verschwenden

Natürlich entsteht beim Betrieb viel Wärme. Und was wäre dümmer, als diese ungenutzt in die Atmosphäre zu blasen? Deshalb haben die Müllers einen großen Wärmespeicher gebaut:
„Wenn alle Motoren laufen, dann kommt so viel Wärme raus, dass man sie speichern muss. Sonst wäre sie weg.“
So kann zum Beispiel das Schulzentrum geheizt werden, auch wenn gerade keine Motoren laufen. Nachhaltigkeit heißt hier: alles nutzen und nichts verschwenden.
Vom Dauerbetrieb zur Flexibilität
Früher liefen die Motoren rund um die Uhr – heute rechnet sich das nicht mehr. Müller sieht darin aber keinen Nachteil, sondern eine Chance:
„Biogas-Strom ist zwar teurer als PV- oder Windstrom. Aber wir können flexibel fahren – wir haben Gasspeicher, Wärmespeicher, mehrere BHKW, eine größere Trafostation. Das können Wind und PV nicht.“
Diese Flexibilität ist die Daseinsberechtigung von Biogas. Nicht als Dauerstromlieferant, sondern als Regelenergie für ein stabiles Netz. Am Abend und im Winter, wenn die Solarengerie geringe oder gar keine Leistung hat oder an Windstillen Tagen.
Familienbetrieb mit Zukunft
Bei aller Technik spürt man, dass der Kögelhof für Familie Müller mehr als ein Projekt ist:
„Für mich ist das ein Herzensprojekt.“
Und tatsächlich: Hier wird sichtbar, wie ländliche Familienbetriebe eine Schlüsselrolle für die Energiewende übernehmen können – nicht durch Hochglanztechnologien, sondern durch kluge Nutzung von Ressourcen, Bodenständigkeit und Innovationsgeist.
Fazit: Biogas als Joker der Energiewende

Die Geschichte von Hermann Müller zeigt eindrücklich: Die Energiewende findet nicht nur in Hochhäusern oder politischen Plänen statt – sondern auch auf Feldern und in Silos. Biogas mag auf den ersten Blick unspektakulär wirken, ist aber ein verlässlicher, flexibler und klimafreundlicher Partner im Energiemix.
Oder, um Müllers anschauliches Bild noch einmal aufzugreifen: Manchmal liegt die Lösung für die großen Fragen der Zukunft direkt im Bauch einer Kuh.